Verbot von Freigang für Katzen tierschutzwidrig - Teil 2

Aus unserer verhaltenstherapeutischen Praxis wissen wir, wie schwierig es für Katzen ist, die  gewohnt sind unkontrollierten Freigang zu haben sich an eine reine Wohnungshaltung anzupassen. Bei vielen dieser Katzen treten vermehrt Verhaltensprobleme auf. Dazu zählen  Unsauberkeit und Harnmarkieren, aber auch aggressives Verhalten gegen Mitkatzen und ihre Halter. Auch Katzen können depressiv werden, wenn sie Teile ihres verhaltensbiologischen Repertoires plötzlich nicht mehr leben können.

Neben den Verhaltensprobleme, die durch einen plötzlichen Entzug des Freigangs auftreten können gibt es auch noch eine juristische Ebene, zu der wir RAin Ellen Apitz befragen. 

Das Vorgehen in Walldorf ist auch juristisch höchst fragwürdig

Neben den biologischen Fragen zur Entscheidung gibt es auch noch eine juristische Ebene. Wir fragen Rechtsanwältin Ellen Apitz, Mitglied im Vorstand der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (DJGT e.V.), die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt und zusammen mit dem Deutschen Tierschutzbund e.V. und dem Landestierschutzverband Baden-Württenberg e.V. ein rechtliches Kurz-Gutachten zur Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung und eine Arbeitshilfe für einen Widerspruch für betroffene Katzenhalter/innen erarbeitet hat. Alle drei gemeinnützigen Organisationen kommen zu dem Ergebnis, dass die Allgemeinverfügung aus formalen und materiellen Gründen rechtswidrig ist.

Das Gutachten ist abzurufen auf der Webseite der Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V..

Birga Dexel/Cat Institute: Liebe Ellen Apitz, warum hat sich die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V.  in die Diskussion eingeschaltet?

RAin Ellen Apitz: Satzungszweck unseres gemeinnützigen Vereins, dem hauptsächlich Juristen und zu einem kleineren Teil auch Veterinäre angehören, ist die Förderung von Tierschutz, Bildung und des effektiven Vollzugs des Tierschutzes. Auch wenn wir keine Einzelfallberatung durchführen, gehört natürlich die rechtliche Prüfung von bekannten behördlichen Maßnahmen mit zu unserer Arbeit. Nachdem wir uns die Allgemeinverfügung angesehen haben, drängten sich erhebliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit auf.

Birga Dexel/Cat Institute: Auf welcher juristischen Grundlage argumentiert die DJGT?

RAin Ellen Apitz: Aus unserer Sicht bestehen formale Mängel, z. B. in Bezug auf die Bekanntmachung der Allgemeinverfügung. Eine Allgemeinverfügung ist verwaltungsrechtlich anders als ein Verwaltungsakt, den die Behörde an einen betroffenen Bürger sendet, da sie eine Vielzahl von Bürgern betrifft. Sie ist grundsätzlich zulässig, muss aber hinreichend bestimmt sein, zumal auch hohe Bußgelder drohen. Eine Bekanntmachung kann ortsüblich erfolgen, z.B. durch die Internetpräsenz der betroffenen Stadt oder der die Verfügung erlassenden Behörde. Beides ist hier erfolgt, aber es kursierten unterschiedliche Fassungen mit einem Datum vom 07.05.2022 bzw. 14.05.2022. Das Datum 07.05.2022  stand auf der Internetpräsenz der Stadt Walldorf später als die Variante vom 14.05.2022. Das beschneidet unter Umständen auch die Rechte der Betroffenen, die nicht wissen, bis wann ein Widerspruch möglich ist. Aktuell  wird auf der Internetpräsenz der Stadt Walldorf wie auch des Rhein-Neckar-Landkreises eine auf den 14.05.2022 datierte Allgemeinverfügung veröffentlicht. Eine Pressemitteilung erfolgte am 17.05.2022.

Materiellrechtlich, das heißt in der Sache, halten wir die Allgemeinverfügung auch aus mehreren Gründen für rechtswidrig. Inwieweit erforderliche wissenschaftliche Erhebungen vor Erlass tatsächlich erfolgten, lässt sich anhand der Verfügung nicht klar beurteilen. Der Landestierschutzverband Baden-Württemberg hat Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz beantragt. Erst nach Einsicht der Akte lässt sich zuverlässig sagen, ob und welche notwendigen Vorarbeiten für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung durchgeführt wurden. 

Zweifel an einer sachgerechten Entscheidung drängen sich aber bereits jetzt auf: die Behörde beruft sich in der Allgemeinverfügung zur Definierung des Streifgebietes von Katzen auf einen! älteren Aufsatz eines Wissenschaftlers aus dem Jahr 1997. Die Tierärztliche Vereinigung zum Tierschutz e.V.  hat im April 2021 ein aktuelles Merkblatt Nr. 189 mit anderen Daten zum Streifgebiet herausgegeben. Diese Merkblätter haben in der Rechtsprechung ein besonderes Gewicht und gelten als „antizipierte Sachverständigengutachten“. Das darf man als Jurist nicht einfach außer Acht lassen.

Wir halten die Allgemeinverfügung auch für rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig ist.  In der Richtung haben sich auch schon die Landestierschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Frau Dr. Julia Stubenbord und auch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) des Landes Baden-Württemberg geäußert.

Eine behördliche Maßnahme muss verhältnismäßig sein, d.h. sie muss geeignet, erforderlich und  angemessen sein. Die Belange aller Betroffenen müssen in einer Abwägung bewertet werden. Die Haubenlerche ist wichtig, aber ihr Schutz muss effizient und unter Beachtung der Rechte von durch die Verfügung betroffenen Bürgern erfolgen. Die vielen weiteren Einflussfaktoren und der Umstandes, dass es in anderen Gemeinden und Bundesländern ohne das Verbot des Freigangs für Katzen sogar besser läuft, lässt schon Zweifel an der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahme aufkommen.  Im Rahmen der Angemessenheit müssen die Interessen des Artenschutzes mit denen der Katzenhalter abgewogen werden. Da wird geschaut, welcher Stellenwert die Interessen haben, wie sie zu bewerten sind und welche Beeinträchtigungen erfolgen. Keiner darf dabei auf der Strecke bleiben.

Auch wenn die Allgemeinverfügung anerkennt, dass das Einsperren von Katzenfreigängern von jetzt auf gleich (ab dem dritten Tag nach der Bekanntmachung) für die Tiere Leid bedeutet, wird dies ohne eine konkrete Abwägung als alternativlos dargestellt.  § 2 TierSchG fordert, dass der Halter sein Tier artgerecht hält und dem Tier keine vermeidbaren Leiden zufügt Nach § 17 Nr. 2b TierSchG steht das Zufügen von vermeidbaren Leiden unter Strafe. Die Behörde erkennt, dass die Katzen leiden und die Tierhalter massiven Beeinträchtigungen und Belastungen ausgesetzt sind: Verhaltensprobleme, Aggression, Depressivität, Nahrungsverweigerung, die Folgen von Verhaltensproblemen wie Unsauberkeit, zerstörtes Mobiliar, erhöhtes Vokalisieren (und damit Störung der Nachbarschaft) und vieles mehr. Am Ende steht im Zweifel eine zerstörte Mensch-Tier-Beziehung, die nur unter erheblichem Aufwand wieder zu kitten ist. Für viele ist die Katze der Sozialpartner - für ältere Alleinstehende eventuell der wichtigste verbliebene, für Kinder Übungslehrer beim Lesen oder Zuflucht bei kindlichen Nöten.  Eine konkrete Antwort mit einer nachvollziehbaren Beweisführung, warum das alles vom Katzenhalter und ihren Katzen hinzunehmen, bleibt die Behörde schuldig.

Für mich persönlich ist es unfassbar, dass eine Behörde vorschlägt: Bringen Sie Ihre Katze während des Sommers woanders unter (Bekannte, Tierpension), aber weit genug weg.

Birga Dexel/Cat Institute: Was müssen betroffene Katzenhalter/ Katzenhalterinnen tun. Wie können sie widersprechen und bis wann?

RAin Ellen Apitz: Aktuell  wird auf der Internetpräsenz der Stadt Walldorf wie auch des Rhein-Neckar-andkreises eine auf den 14.05.2022 datierte Allgemeinverfügung veröffentlicht.

In der Rechtsbehelfsbelehrung steht: „Gegen diese Verfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, Heidelberg, oder bei jeder anderen Dienststelle des Rhein-Neckar-Kreises Widerspruch erhoben werden.“

Man kann sich an dem Musterwiderspruch auf der Internetpräsenz des Tierschutzvereins Wiesloch, Walldorf und Umgebung e.V.  orientieren.

Wichtig ist, dass der Widerspruch nicht per Email erhoben werden kann und auch nicht an die Stadt Walldorf geschickt wird. Das unterschriebene Schreiben sollte bis zum 14.06.2022 beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis im Briefkasten liegen, also nicht zu spät abschicken. Am Besten nutzt man ein Einwurfeinschreiben oder ein Einschreiben mit Rückschein.

Nach einer neueren Presseveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung vom 4.6.2022 soll über Widersprüche binnen vier bis sechs Wochen entschieden werden. Ob das passiert, weiß man nicht. Nach § 75 VwGO hat eine Behörde grundsätzlich eine Höchstfrist von 3 Monaten für eine Entscheidung, auch über einen Widerspruch. Selbst wenn in sechs Wochen eine Entscheidung vorläge, weiß man nicht, wie sie ausfällt und ob die Behörde dem Widerspruch abhilft (die Verfügung aufhebt).

Die Allgemeinverfügung ist aufgrund der behördlichen Anordnung sofort vollziehbar, § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Betroffene haben die Möglichkeit beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf  Wiederstellung dieser aufschiebenden Wirkung zu beantragen, § 80 Abs. 5 VwGO. Das geht auch bei der Behörde, aber die kann das auch erst in drei Monaten entscheiden. Dann ist bereits eine lange Zeit des Leides für die Katzen und ihre Halter ins Land gezogen. Wieviel Schaden dann eingetreten ist, der nur mit erheblichen Aufwand oder nicht wieder gut gemacht werden kann, kannst du besser beurteilen als ich.

Ich kann nur jedem Katzenhalter raten, seine Rechte geltend zu machen, ggfs. auch gerichtlich, zumal die Allgemeinverfügung bis 2025 gilt.

Birga Dexel/Cat Institute:  Wie bewertest Du die Maßnahmen, die anderen Gemeinden wie Kesch oder Reiling zum Schutz der Haubenlerche ergreifen.

RAin Ellen Apitz: Dazu kann ich nichts sagen, denn ich bin kein Biologe. Ich kann nur beurteilen, ob die der Allgemeinverfügung zugrundeliegende Sach- und Rechtslage ermessenfehlerfrei erfolgte, d.h. beides ordnungsgemäß  und umfassend ermittelt und bewertet wurde. Auch ohne die Akteneinsicht bestehen hier aufgrund des Wortlautes und Inhalts der Verfügung erhebliche Zweifel.

Birga Dexel/Cat Institute: Es wird gemunkelt, dass auch andere Gemeinden zu ähnlichen Maßnahmen gegen Freigängerkatzen greifen könnten. Siehst Du das Vorgehen der unteren Naturschutzbehörde in Walldorf als möglichen Präzedenzfall?

RAin Ellen Apitz: Gerüchte haben wir auch gehört, aber man weiß nicht, wieviel da dran ist. Angesichts der sich jedes Jahr wiederholenden Aufforderung in diversen Medien, Katzen den Freigang in der Brutzeit von Vögeln zu verbieten, ist nicht auszuschließen, dass die Allgemeinverfügung in Walldorf nur der Anfang ist.

Birga Dexel/Cat Institute: Liebe Ellen, wir danke Dir für das Interview.

 

Quellen

Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (Mai 2022): Kurzgutachten zur Allgemeinverfügung der Stadt Walldorf: Ausgangssperre für Katzen. https://djgt.de/2022/05/30/kurzgutachten-zur-allgemeinverfuegung-der-stadt-walldorf-ausgangssperre-fuer-katzen/

Die Tierärztliche Vereinigung zum Tierschutz e.V.  (April 2021): Merkblatt Nr. 189. https://www.tierschutz-tvt.de/alle-merkblaetter-und-stellungnahmen/

Tierschutzverein Wiesloch Walldorf und Umgebung. Musterwiderspruch. https://www.tierschutz-wiesloch-walldorf.de/katzen-hinter-gittern-in-walldorf/

Süddeutsche Zeitung (4.6.2022): Ausgangsverbot: An Haubenlerchen scheiden sich die Geister. https://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaft-walldorf-ausgangsverbot-an-haubenlerchen-scheiden-sich-die-geister-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220604-99-545121

Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis. Amt für Landwirtschaft und Naturschutz (14.5.2022): Allgemeinverfügung zur Gewährleistung des besonderen Artenschutzes zugunsten der Vogelart Haubenlerche auf der Gemarkung der Stadt Walldorf. Sinsdorf. https://www.rhein-neckar-kreis.de/site/Rhein-Neckar-Kreis-2016/get/params_E-879947487/2806139/53_naturschutzrechtliche_Allgemeinverfuegung.pdf. Abruf 17.5.2022