Tierschutz in Zeiten der Corona-Pandemie

Interview aus der Rubrik "Talking Cats" mit Annette Rost, Tierheim Berlin

Annette Rost ist Pressesprecherin des Tierheim Berlins, dem größten Tierheim in Europa. Das Berliner Tierheim im Nordosten der Hauptstadt hat seit Ausbruch der Corona-Pandemie seit Mitte März seine Pforten für Besucher geschlossen. Das Tierheim musste wie viele andere Institutionen in Deutschland seine wichtige Arbeit für die Tiere den veränderten und erschwerten Bedingungen in Coronazeiten anpassen.

Birga: Es erreichen uns aus vielen Teilen der Welt beunruhigende Nachrichten in Bezug auf Katzen und andere Haustiere: In New York beispielsweise, im Hurrikan des Corona Ausbruchs in den USA, haben die Tierheime geschlossen, jetzt ist Kittensaison und in der Stadt gibt es viele unversorgte trächtige Katzen und Kitten. Den Helfern fehlen angesichts der sehr drastischen Lebenssituation vieler Menschen in New York die Helfer und die Spenden, um ihre Arbeit für die Straßenkatzen fortzuführen. Auch in anderen Teilen der Welt fallen Straßenkatzen komplett unter den Tisch. Ich unterstütze u.a. Katzenschutzprojekte in Zypern und dort können die Organisationen aufgrund einer sehr strikten und auch überwachten Ausgangssperre nur zwei Stunden am Tag mit Sondergenehmigung raus, um die Katzenkolonien zu füttern; die so wichtigen Kastrationen sind zur Zeit gar nicht möglich, da die Tierärzte nur Notdienste betreiben dürfen.

Liebe Annette, wie ist die Situation hier in Berlin. In Berlin gibt es ja auch deutlich über 10.000 Straßenkatzen. Was hat sich für den Tierschutz seit Ausbruch der Epidemie verändert?

Annette: Da wir in Deutschland nicht mit Ausgangssperren zu kämpfen haben, können auch in Berlin freilebende Straßenkatzen nach wie vor betreut werden. Wir versorgen mit ehrenamtlicher Unterstützung in Berlin 245 Futterstellen, geben jeden Monat 15.000 Dosen Katzenfutter aus. Unsere Tierschutzberater sind ebenfalls im Einsatz und sorgen dafür, dass unkastrierte Straßenkatzen in unserer Tierarztpraxis kastriert werden, verletzten Tieren geholfen wird oder das trächtige Katzen bei uns ganz in Ruhe und gut versorgt ihre Kitten zur Welt bringen können. Also ist bei uns aktuell die Situation Gottseidank nicht so angespannt wie das im Ausland der Fall ist

Birga: Welche Maßnahmen werden von den einzelnen Tierheimen umgesetzt, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können? Welche Schwierigkeiten ergeben sich nun für Euch?

Annette: Um die Versorgung unserer 1.300 Tiere zu jeder Zeit gewährleisten zu können, haben wir personell sehr schnell Konsequenzen gezogen, sehr kleine Teams gebildet, die mit den anderen Teams keinen direkten Kontakt haben; in der Tierarztpraxis haben wir ein Schichtsystem eingeführt, so dass sich 50% der Mitarbeiter nicht mehr persönlich treffen und in der Verwaltung fast alle Mitarbeiter ins Home Office geschickt. Die Veränderungen sind also in der Tat erheblich, - aber natürlich notwendig.

Wir haben ebenfalls, bedingt durch die Schließung des Tierheim für Besucherverkehr (an Wochenendtagen verzeichnet das Tierheim jeweils etwa 1.000 Besucher), sehr viele Maßnahmen und Projekte umstellen müssen. Glücklicherweise können wir weiterhin Tiere vermitteln, - allerdings ist der Prozess ein anderer als in „Nicht-Corona-Zeiten“. Konnten Interessenten früher einfach im Tierheim vorbeischauen, findet nun der sogenannte Erstkontakt im Internet statt. Wir haben in Windeseile alle vermittlungsfähigen Tiere auf unserer Internetseite eingestellt. Die Möglichkeit sich dort nach einem Haustier umzuschauen gab es natürlich schon vorher, - aber nur ein Teil der vermittlungsfähigen Tiere wurde dort präsentiert. Das lag daran, dass unkomplizierte Tiere häufig so schnell vermittelt wurden, dass die Kollegen manchmal gar nicht so schnell fotografieren um sie auf die Homepage zu setzen.

Andere Projekte wie zum Beispiel unser geliebtes „Kinder lesen Katzen vor“ haben wir digitalisiert! Die Kinder lesen jetzt statt in unseren Seniorenkatzenhaus in ihrem Kinderzimmer. Sie nehmen das Vorlesen per Video oder Audio-Datei auf, schicken es uns per Mail – und wir spielen es dann den Katzen vor! Wir haben schon ganz großartige Videos geschickt bekommen! Weitere Infos hierzu findet man auf unserer Internetseite: www.tierschutz-berlin.de.

Birga: Vielen Menschen machen sich jetzt Sorgen wie es den Tieren in den Tierheimen geht insbesondere in Hinblick auf Spenden. Wie sieht die Spendenbereitschaft in Zeiten von Corona aus?

Annette: Das ist unsere größte Sorge. Das Tierheim Berlin finanziert sich überwiegend aus Nachlässen und Spenden, wenn diese wegbrechen stehen wir vor einem großen Problem. Unterstützung durch die öffentliche Hand erhalten wir nur in homöopathischen Dosen. Wir beten, dass die Krise nicht mehr sehr lange dauern wird und viele Menschen sehr schnell in Ihre Jobs bzw. aus der Kurzarbeit zurückkehren können.

Birga: Die große Osterreisewelle ist dieses Jahr aufgrund der Ausgangs- und Reisebeschränkungen ausgefallen. Normalerweise ist jede Reisezeit für Tierheime immer schwierig, da viele Tiere gerne vor Ferien ausgesetzt oder abgegeben werden. Wie war es in diesem Jahr bei Euch?

Annette: Das ist die positive Seite der Krise: es werden weniger Tiere im Tierheim abgegeben! Es werden auch weniger Tiere ausgesetzt. Die übliche erhöhte Abgabe von Tieren wg. Ferien war überhaupt nicht zu spüren, da Urlaubsreisen in Gänze ins Wasser gefallen sind.

Birga: Häufen sich die Abgaben zur Zeit? (Menschen überfordert oder haben Panik wegen der viele Schlagzeilen, die viele auf die Idee bringen, eine Übertragung von Covid-19 sei von Tier auf Mensch möglich)

Annette: Wir hatten bis dato einen einzigen Fall, das ein Hundebesitzer sein Tier wg. möglichen Übertragungsrisiko bei uns abgeben wollte. Nachdem die Kollegen ihn aufgeklärt hatten ist er glücklich zusammen mit seinem Vierbeiner wieder nach Hause gegangen.

Ansonsten haben wir momentan den Eindruck, dass gerade die Krisenzeit dafür sorgt, dass Menschen ihr Haustiere sehr wertschätzen und feststellen, wie gut der Seele ein tierischer Begleiter tut!

Birga: Wenn man ein Tier aus dem Tierheim adoptieren möchte, dann geht der Weg in die Tiervermittlungsstelle und man kann mit den Katzen Kontakt aufnehmen und erhält Informationen von Euren Mitarbeitern. Wie hat sich Eure Vermittlungstätigkeit jetzt verändert, wenn niemand mehr ins Tierheim kommen kann?.  Wie verläuft gerade zu Corona-Zeiten die Vermittlung, scheuen potentielle Tierhalter vor den zusätzlichen Aufwänden ausgelöst durch Hygienebestimmungen oder längere Wartezeiten bei bestimmten Abläufen? Können Kontrollbesuche noch stattfinden? Oder gehen die Vermittlungen sogar hoch, weil die Leute auf absehbare Zeit nicht in Urlaub fahren und mehr Zeit haben für Eingewöhnungen?

Annette: Der Ablauf hat sich insofern geändert, als das der Interessent sich auf unserer Homepage und nicht bei einem Besuch im Tierheim umschaut. Hat er ein Tier entdeckt, dann kann mit dem zuständigen Tierpfleger ein telefonisches Vorgespräch stattfinden. Haben beide Seiten nach dem Gespräch das Gefühl es können gut passen wird ein Termin im Tierheim abgesprochen und Tier und Mensch können sich kennenlernen. Das Procedere funktioniert sehr gut.

Die Nachfrage ist im Moment sehr hoch und wir arbeiten mit Hochdruck an einer verbesserten Erreichbarkeit, da ist sicher noch Luft nach oben. Hier bitten wir alle um ein bisschen Geduld, die Kollegen bemühen sich sehr alle Anrufe anzunehmen und Nachrichten schnell zu beantworten.

Nachbesuch finden nur telefonisch oder auf Distanz statt. Wir sind natürlich auch nach der Vermittlung für die neuen Tierbesitzer sehr gerne Ansprechpartner und helfen bei allen Fragestellungen weiter!

Birga: Ist die Vermittlung eingebrochen aufgrund von Corona?

Annette: Ganz im Gegenteil, wir vermitteln aktuell mehr Katzen als im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig werden weniger Katzen abgegeben. Hoffen wir, dass es bei dieser positiven Entwicklung bleibt. Im Bereich der Vermittlung von Hunden gibt es weniger Unterschiede zum Vorjahr, aktuell „profitieren“ also die Katzen mehr als die Hunde. Erwähnen möchte ich auch, dass wir gerade jetzt auch einige unserer Sorgenfellchen in ein neues Zuhause vermitteln konnten, das freut uns natürlich immens!

Birga: Das sind ja tolle Nachrichten. Halter haben jetzt auch viel mehr Zeit für ihre Katzen. Wir machen gerade auch die Erfahrung, dass Menschen ihre Katzen sehr schätzen in dieser schwierigen Zeit.

Birga: Wie können Berliner und Berlinerinnen das Tierheim jetzt unterstützen?

Annette: Zuhause bleiben, gesund bleiben! Aber, wir freuen uns natürlich riesig, wenn der ein oder anderen einen Euro für unsere Tiere übrig hat – und uns diesen ganz sicher vom Sofa aus per Online-Spende überweist.

Birga: Liebe Annette, ich danke Dir für das Gespräch und wünsche Euch weiterhin viel Erfolg und Kraft für Eure so wichtige Arbeit!