Lock-Down für Freigangkatzen im Rhein-Neckar-Kreis
Im baden-württembergischen Städtchen Walldorf-Süd gilt für Katzen mit Freigang bis Ende August eine Ausgangssperre. Freigängerkatzen dürfen ab sofort bis auf wenige Ausnahmen nicht vor die Türe. Die zuständige Behörde, die Untere Naturschutzbehörde Rhein-Neckar-Kreis, hat den Hausarrest für Katzen verhängt, weil die vom Aussterben bedrohte Haubenlerche gerade brütet. Freigängerkatzen werden als mögliche Gefahr für die am Boden brütende Vogelart gesehen. Die Vorgabe wird mit einem Bußgeld von 500 Euro geahndet, wenn eine Katze mit Halter im Geltungsbereich gesehen wird. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen von dieser Regel: Zum einen Katzen, die sich nachweislich bei ihrem Freigang nicht im Geltungsbereich aufhalten und solche, die an einer kurzen Leine geführt werden. Die betroffenen Katzenhalter und Katzenhalterinnen müssen dafür eine Ausnahmegenehmigung bei der Unteren Naturschutzbehörde beantragen und können eine Befreiung erhalten, wenn sie durch GPS-Tracking nachweisen können, wo ihre Katze sich aufhält. Wie das GPS-Tracking durchgeführt wird, muss allerdings vorab mit der Unteren Naturschutzbehörde abgestimmt werden. Infos zu den Kriterien für eine Befreiung am Ende dieses Blogartikels.
Interview mit der Katzenexpertin Birga Dexel zu möglichen Lösungen für Katzen im Rhein-Neckar-Kreis:
Cat Institute: Was bedeutet es für Katzen, wenn ihr Freigang plötzlich wegfällt?
Birga Dexel: Die meisten Katzenhalter wissen, dass eine solche Maßnahme für ihre Katzen und ihre Menschen enormen Stress bedeutet. Eine Folge des Hausarrests können Verhaltensprobleme sein.
Cat Institute: Was können betroffene Katzenhalter jetzt tun? Der Bürgermeister der Stadt, dem die Misere der Katzen und ihrer Menschen, durchaus bewusst ist, rät dazu die betroffenen Katzen für die kommenden 3,5 Monate irgendwo anders unterzubringen. Ist das eine Lösung?
Birga Dexel: Ich halte die vorgeschlagene Lösung für wenig praktikabel und auch nicht zielführend. Wir wissen aus unserem Beratungsalltag, dass es für viele Katzenfreunde schon schwer genug ist für einen zweiwöchigen Urlaub eine außerhäusliche Betreuung zu finden. Noch dazu mit Freigang, denn eine Unterbringung ohne Freigang wäre ja sinnlos. Nun ist es aber so, dass auch nach einem Umzug Freigängerkatzen eine Weile erst einmal im Haus gehalten werden sollten, bevor man sie im neuen Revier rauslässt. Die Katze muss sich in der neuen Umgebung erst einmal eingewöhnen und ihr Revier etablieren. Das ist bei Katzen leider alles nicht so einfach.
Für mich als Artenschützerin für Schneeleoparden, Papageien und andere Wildtierarten ist es allerdings immer wieder erschreckend, dass es so weit gekommen ist. Artenschutz steht in der politischen Prioritätenliste leider nach wie vor ganz unten. Das muss sich schnellstens ändern. In diesem Fall müssen die Hauskatzen jahrzehntelange Untätigkeit, Zerstörung von Lebensräumen und Lobbypolitik ausbaden.
Cat Institute: Was können Katzenmenschen in Walldorf denn jetzt konkret tun, um die Not der Katzen zu lindern?
Birga Dexel: Die sinnvollste und legale Lösung wäre der kurze Leinengang, den die untere Naturschutzbehörde ja ausdrücklich erlaubt. Dafür ist es wichtig ein passgenaues „Walking-Jacket“ zu benutzen. Normale Geschirre sind nicht sinnvoll, da Katzen sich sehr schnell daraus befreien können. Den Leinengang mit Walking Jacket trainiert man mit der Katze am sinnvollsten mit dem Clickertraining. Eine detaillierte Anleitung mit vielen Fotos, wie man einer Katze den Leinengang antrainiert findet man in unseren Buch „Birga Dexel’s Clickertraining für Katzen“. Da für immer mehr Menschen aus vielen Gründen Leinengang für ihre Katzen eine Option darstellt, gibt es in unserer Online Akademie folgende Videokurse on Demand zum Thema:
Cat Institute: Was kann man alles falsch machen, wenn man seiner Katze Leinengang beibringen möchte?
Birga Dexel: Wir unterrichten den Leinengang bei Katzen mithilfe des Clickertrainings schon seit mehr als 15 Jahren. Wir waren in der VOX-Tiersendung „HundKatzeMaus“ die ersten im deutschsprachigen Raum, die den Leinengang mit Katzen einem breitem Fernsehpublikum gezeigt haben. Viele Menschen wurden dadurch angeregt, Leinengang mit ihren Katzen zu probieren. Es werden dabei immer wieder diesselben Fehler gemacht: Die Menschen sind in der Regel zu ungeduldig und legen der Katze das Walking Jacket einfach an und meinen, sie können wie mit einem Hund gleich loslaufen. So funktioniert das Ganze aber nicht! Die Katze muss zuerst mit der Unterstützung des Clickers an das Geschirr gewohnt werden. Natürlich in der Wohnung und nicht draußen. Im nächsten Schritt lernt die Katze noch ohne Leine mit ihrem Halter zusammen zu laufen und dann erst kommt die Leine. Der ganze Lernprozess kann ein paar Wochen in Anspruch nehmen. Wenn Katzen allerdings das Clickertraining schon kennen oder es gewohnt sind mit ihrem Halter draußen auch schon ohne Leine gemeinsam spazieren zu gehen, kann es schneller gehen. Wir bieten aber auch Einzelcoachings zum Clickertraining über Skype und Zoom an und können betroffene Halter dabei unterstützen, das Erlernen des Leinengangs zu beschleunigen.
Cat Institute: Was können Katzenhalter tun für die der Leinengang (noch) keine Option ist?
Birga Dexel: Freigang zu ersetzen ist sehr schwierig. Für Katzenhalter und Katzenhalterinnen bedeutet dies, die Katze mit Hausarrest im Haus intensiv zu beschäftigen. Dazu bietet sich neben dem Clickertraining auch katzengerechtes Spielen an. Gerade die Katzen, die normalerweise Freigang haben, sind oft sehr anspruchsvoll, wenn es um das Spielen mit ihnen geht und lassen sich durch das pure Herumwedeln mit einer Katzenangel oft nicht hinter dem Sofa hervorlocken. Hier ist es wichtig, die Spiele für die Katze möglichst naturgetreu und artgerecht zu gestalten.
Kriterien für eine Befreiung von der Ausgangssperre für Katzenhalter in Walldorf-Süd
Auszug aus der Allgemeinverordnung: „Auf Antrag können Katzenhalter im Einzelfall von den Anordnungen zu Ziffer 3 befreien, wenn diese mittels im Zeitraum September bis März aufgezeichnetem GPS-Tracking nachweisen können, dass ihre Katze sich nicht im Gefahrenbereich aufhält, und die Halter*innen sich zu Folgendem verpflichten:
- Fortführung des Trackings jeweils im Zeitraum von Anfang März bis Ende August, bis zum Jahr 2025.
- Sofortige Unterbindung des Freigangs der Katze entsprechend den Anordnungen zu Ziffer 3, wenn sich insbesondere im Zuge des GPS-Trackings erweisen sollte, dass die Katze sich doch im Gefahrenbereich der Haubenlerche aufhält“.
Quelle:
Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis. Amt für Landwirtschaft und Naturschutz (14.5.2022): Allgemeinverfügung zur Gewährleistung des besonderen Artenschutzes zugunsten der Vogelart Haubenlerche auf der Gemarkung der Stadt Walldorf. Sinsdorf. https://www.rhein-neckar-kreis.de/site/Rhein-Neckar-Kreis-2016/get/params_E-879947487/2806139/53_naturschutzrechtliche_Allgemeinverfuegung.pdf. Abruf 17.5.2022